
Unsere Welt wird analysiert, gemessen, optimiert – und mit ihr die Kunst. Was einst als frei galt, wird heute an Wirkung, Reichweite und Strategie gemessen. Wer sich im Kunstbetrieb bewegt, spürt es: Die Selbstoptimierung und Professionalisierung schreiten voran. Doch ist sie ein Gewinn – oder raubt sie der Kunst ihre Tiefe?
Kunst heute – zwischen Mythos und Markt
Das Bild vom frei schaffenden Künstler, der in stiller Abgeschiedenheit seine Vision verwirklicht, hält sich hartnäckig. Ebenso die Vorstellung, dass wahre Kunst keinem Zweck dient – schon gar keinem kommerziellen. Doch diese Mythen verblassen dort, wo Realität beginnt: Miete, Verpflichtungen, Förderanträge, Instagram-Accounts, Ausstellungsverträge.
Zwischen Ideal und Alltag tut sich ein Spannungsfeld auf: Freiheit versus Profession. Doch vielleicht ist genau das die falsche Gegenüberstellung.
Mich bewegt dieses Thema seit Langem – weil ich sehe, wie viele Künstler:innen naiv agieren. Und weil ich überzeugt bin: Es braucht dringend eine neue Haltung, damit die Kunst, die Künstler:innen und auch der Kunstmarkt sich souverän weiterentwickeln.
Gleichzeitig beobachte ich die Kehrseite: exzessives Marketing, durchgestylte Instagram-Strategien. Ich kann keine bauchfreien Künstlerinnen und tätowierten Szene-Typen mehr sehen, die ihre Werke ins Handy halten. Auch schlecht inszenierte Vernissagenbilder ermüden. Doch all das ist ein Symptom: Der Druck zur Selbstinszenierung steigt. Alle wollen Sichtbarkeit. Alle wollen Ruhm. Warhol hat es vorausgesehen.

Professionalisierung – oder Verantwortung?
Was heißt „Professionalisierung“ überhaupt? Professionalisierung bedeutet nicht Gleichmacherei. Das ist entscheidend. Es geht nicht darum, dass alle Künstler:innen zu PR-Profis werden. Sondern darum, die eigenen Bedingungen zu kennen:
• Wie spreche ich über meine Arbeit?
• Was will ich selbst in der Hand behalten – was kann ich delegieren?
• Wie möchte ich sichtbar sein – oder ganz bewusst nicht?
Wer sich diese Fragen stellt, verliert nicht seine Authentizität. Er gewinnt Handlungsspielraum. Und genau darin liegt die Stärke von Professionalisierung: Sie schafft Raum für Selbstverantwortung.
Zwei Wege, eine Haltung: Damien Hirst und Candia Höfer

Hirst – der Provokateur, der Marktschreier, der Millionenmann. Seine Kunst ist Bühne, Spektakel, Selbstvermarktung. Legendär: sein mit Diamanten besetzter Totenschädel. Damals in jeder Zeitung, sogar in der „Tagesschau“. Später kam heraus: Verkauft wurde das Werk nie – zumindest nicht so, wie behauptet. Doch der Hype war real. Und andere Arbeiten verkauften sich blendend.
Candida Höfer – das Gegenteil: leise, präzise, zurückhaltend. Ihre Fotografien entstehen im Stillen, zeigen leere Räume, erzählen von Abwesenheit. Ihre Sprache ist zurückgenommen, aber eindringlich. Wie ihre Kunst, so auch sie selbst: unaufgeregt, aber einflussreich. Ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Fotografie. Bald zeigt das Landesmuseum Darmstadt eine große Ausstellung.
Zwei radikal unterschiedliche Ansätze. Und doch beide hochprofessionell. Durchdacht. Strategisch.

Denn: Professionalisierung ist kein Stil. Sie ist eine Haltung.
Wenn das Werkzeug zur Last wird

Doch wie findet man seine eigene Haltung in einem Dschungel aus Marketing-Tools, Verkaufsratgebern und Branding-Rhetorik? Die Gefahr beginnt dort, wo aus einer Option ein Zwang wird.
Wenn Galerien und Kuratoren fordern, was noch nicht reifen durfte.
Wenn Social Media nicht mehr Mittel, sondern Voraussetzung ist.
Wenn Professionalität zur Messlatte für Ernsthaftigkeit wird.
Dann wird das Werkzeug zur Last. Und die Kunst verliert, was sie ausmacht: ihre Widerständigkeit.
Was wir bei Artboost denken
Professionalisierung ist wichtig – aber nicht als Korsett, sondern als Möglichkeitsraum.
Künstler:innen brauchen keine Rezepte, sondern Reflexion. Keine Standardlösungen, sondern Dialog. Werkzeuge, um den eigenen Weg zu gehen.
Manche wollen laut sein. Andere leise. Beide brauchen Orientierung – aber keine Vereinheitlichung.
Professionalisierung darf fordern. Sie darf herausfordern. Aber sie darf nicht normieren.
Zum Schluss
Kunst ist Ausdruck. Und Ausdruck braucht Spielraum. Die Kunstwelt verändert sich – rasant, digital, durchökonomisiert.
Doch je klarer Künstler:innen ihre eigene Haltung kennen, desto freier können sie agieren.
Professionalisierung ist kein Widerspruch zur Freiheit. Oft ist sie ihre Voraussetzung.
Und du?
Welche Erfahrungen hast du mit dem Thema gemacht – als Künstler:in, Galerist:in oder Sammler:in?
Schreib uns. Oder noch besser: Komm ins Gespräch mit Artboost.